Beatrix Obernosterer
Living Studio der Stadtgalerie Klagenfurt, Theatergasse 4
9. März bis 15. Mai 2016
Bernhard Tragut (*1957), gebürtiger Niederösterreicher, erlernte den Beruf des Vergolders, restaurierte Kirchen und studierte an der Akademie der bildenden Künste bei Rudolf Hausner.
Bernhard Tragut begann 1985 mit plastischen Arbeiten, 1991 mit Schnitzereien. Zeichnen und Betonmodellieren runden sein vielseitiges künstlerisches Schaffen ab. Bernhard Tragut war auf zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland vertreten, wurde mehrfach ausgezeichnet.
A propos „vielseitiges künstlerisches Schaffen“: 1980 gründete er die Band „Rucki-Zucki-Palmen-Combo“ und mit einer schrägen Mischung aus Südsee-, Volks- und Rockabillymusik gelang ihm mit dem Titel „Südseeträume“ der Sprung in die Hitparade. Zum 10-Jahres-Jubiläum war Bernhard Tragut mit seiner Combo auch bereits in der Stadtgalerie Klagenfurt zu hören – ein „Wiederhören“ wird es heuer zum 20-Jahr-Jubiläum geben (Termin: 30. April / Tag der offenen Tür, Konzert von
11 bis 13 Uhr)!
Nun aber zum BILDENDEN Künstler Bernhard Tragut:
Bernhard Traguts bunte, meist aus Lindenholz geschnitzte Skulpturen vereinen in gekonnter Weise Handwerk und Kunst. Voll tiefgründigem Humor und kritischer Ironie erzählen sie Alltägliches, Banales.
Nicht mit Boshaftigkeit, sondern liebevoll karikierend hält er uns den Spiegel auf
recht unverblümte Art und Weise hin.
Die äußerst realistisch dargestellten Szenen sind oft höchst bizarr, surreal komisch und dabei zutiefst menschlich. Immer wieder geht es um die Beziehung von Menschen zu einander, und da vor allem auch um das Verhältnis von Mann und
Frau im Spannungsfeld eines erotischen Begehrens.
Die Werke des Künstlers sind dabei häufig skurril und erinnern an Formen des absurden Theaters der Fünfziger Jahre mit all seinen existentiellen Fragestellungen nach dem Sinn des Daseins:
„Bei der Beschäftigung mit unserem Dasein fasziniert mich besonders, auf welchen schmalen Pfaden wir uns bewegen, an welchem seidenen Faden alles hängt. Allein schon die Tatsache, wie dünn die Erdkruste ist, auf der wir uns bewegen, im Verhältnis zu dem darunterliegenden Feuerball, könnte einen beunruhigen“, so der Künstler.
Und doch halten wir Menschen uns für den Mittelpunkt, den Nabel der Welt. Obwohl nur Zwerge, gebärden wir uns wie Riesen. –
Wie zum Beispiel diese Dame (= Skulptur ganz hinten in der Ausstellung):
Im ersten Eindruck an einen Gartenzwerg erinnernd, thront sie selbstbewusst und breitbeinig auf einer Halbkugel der Erde, ihre vermeintliche Größe durch einen langen Hutaufsatz skurril noch
in die Länge gezogen, während die stark geschrumpfte Halbkugel unter ihr Einblicke in Weltraumaufnahmen gewährt.
„Für einen Tag“ lautet der Titel dieser Skulptur. – „Für einen Tag“ WAS? Die Weltherrschaft übernehmen? Über allen Dingen stehen? Der größte Zwerg unter all den anderen Zwergen sein?
Bernhard Tragut gibt seinen Werken erst nachträglich einen Titel. Sie sind ihm sehr wichtig, sollen bei aller Seriosität des Anliegens auch für ein Schmunzeln beim Betrachter sorgen und noch viel für eigene Vorstellungskraft und für persönliche Vorlieben übriglassen. Achten Sie also bitte in dieser Ausstellung besonders AUCH auf die Titel…
Für Bernhard Traguts Werk hat Diane Shooman (amerikanische Literaturwissen-schaftlerin, Autorin und Performerin) die wunderbare Bezeichnung „kunstvoller Alltag“ geprägt:
Es ist voller Szenen, wie wir sie täglich erleben; voller Alltagsgegenstände und Dinge, über die wir ständig stolpern:
Sobald wir unseren Computer starten oder Nachrichten am Handy lesen, hüpfen uns z.B. diese typischen Smileys in allen Varianten ins Gesicht, lachend, weinend, zwinkernd, traurig: „Einmal so, einmal so.“ – DAS ist auch der Titel einer Arbeit auf der langen Wand in der Ausstellung.
Oder etwas anderes „Alltägliches“, etwas was wir wirklich ALLE haben: die Kleidung!
Links und rechts vom eben erwähnten Werk tummeln sich die verschiedensten Arten von Pudelmützen – elegante, hippige, altmodische, langweilige ….
Kleidung deklariert uns als Mensch und eint uns so, macht uns „gemeinsam“. Andererseits steht aber gerade Kleidung auch für Individualismus, sie unterstreicht unsere Persönlichkeit.
Und sie ist Schutzschicht, nackt fühlen wir uns unwohl, ausgeliefert.
„Dann macht es mir nichts aus“ ist einer der Titel der „Pudelhauben-Werke“: Heißt das nun „Wenn ich fest genug angezogen bin, macht mir die Kälte nichts aus“, oder bedeutet es, dass mich die Kleidung auch vor anderen Einflüssen, vor anderen Leuten schützt und mir DIESE Kälte dann nichts ausmacht? Sie sehen schon: Wieder so ein typischer Tragut-Titel….
Die SCHUHE: noch ein Alltagsgegenstand und Thema einer bemalten Holzbrett-Serie (etwas weiter vorne an dieser langen Wand).
Es sind Traguts eigene Schuhe, die er hier abbildet. Auch sie sind Schutz, aber auch Symbol für „treue Begleiter“.
Sie tragen uns durchs Leben und sind wohl nicht nur deshalb in
der Reihung der Wichtigkeit als „Kleidungsstück“ ganz oben auf der Liste – oder gibt es EIN Kleidungsstück, das MEHR Sammlerstück
ist als der Schuh?
Unsere Einladungskarte zeigt einen Ausschnitt der Skulptur
„Reif“ (vorletzte Skulptur im Raum weiter hinten) – einer überdimensionalen reifen Himbeere, die in sich etwas anderes „Reifes“ birgt: ein schon etwas älteres Paar in typischer „Tragut-Manier“ nicht ideal und schön, sondern so wie wir Menschen
im Alltag vorfinden – vielleicht auch ein wenig überzogen realistisch, in jedem Fall aber liebevoll karikiert.
Auch hier geht es wieder um diese „Vielschichtigkeit“, diese „Gegensätzlichkeit“ von Dingen, die sein Werk prägen. Einerseits symbolisieren die (reife) Frucht als auch das (reife) Paar die unausweichliche Vergänglichkeit, das Ableben, andererseits (er)wächst aber aus allem wieder etwas Neues:
so wird auch hier aus den saftigen Blättern Neues nachwachsen – ein ständiger Kreislauf.
Nicht nur die EXPONAT-Titel, sondern auch AUSSTELLUNGS-Titel sind Bernhard Tragut sehr wichtig und er wählt sie mit großer Sorgfalt.
So bin ich Ihnen noch ein paar Worte zu diesem Ausstellungstitel „Auf schmalen Pfaden“ schuldig. – Betrachten Sie bitte dazu die Wandskulpturen auf der Fensterseite, die in den Raum hineinragen:
Auf halben Tierköpfen tänzeln kleine Figuren wie Dompteure im Zirkus. Vordergründig schaut das Ganze elegant und idyllisch aus. Bei näherer Betrachtung wird aber deutlich, sie stehen auf ziemlich wackeligen Füßen, sehr bemüht, das Ganze elegant und selbstsicher aussehen zu lassen. Doch es sind „schmale Pfade“, auf denen sie tanzen – in Wahrheit stehen sie am Abgrund und können jederzeit abstürzen.
Bernhard Tragut sieht unser Sein als ständigen Balanceakt. „Wir tänzeln dahin“ – wie er sagt – „schwanken, rutschen aus auf diesen schmalen Pfaden, kommen wieder hoch, befinden uns im Gleichgewicht und fühlen uns gleich wieder als Zentrum der Welt.“
Alpen-Adria-Galerie, Beatrix Obernosterer, März 2016