Dr. Eva S. Sturm
Eine vortreffliche Position, von der aus man die Figuren und Objekte von Bernhard Tragut betrachten kann, ist vielleicht, ihnen über die Schulter zu schauen. Nicht bei allen Arbeiten läßt sich dies tatsächlich durchführen. Wie zum Beispiel sollte man dem filmenden Kapuzenmann auf der zentral im Raum plazierten Skulptur näher treten? Blickt doch dieser auf uns selbst zurück, um uns in sein Visier zu nehmen. ’ Dem Liebespaar in der Blüte könnte man sich schon eher auf diese Weise nähern. Aber wird man da nicht ein wenig zum Eindringling in einem wunderschönen Bild der Zweisamkeit, in welchem sonst niemand etwas verloren hat?
Die Idee, diesen Wesen über die Schultern zu blicken, ist trotzdem nicht so schnell zu verwerfen. Zumindest nicht symbolisch. Denn jemandem über die Schulter zu sehen heißt, dessen Perspektive mit-wahrnehmen; heißt, die Nähe, den Atem einer Person spüren; heißt in eine Situation mit-eintauchen. Es heißt auch, etwas sehen, das der Mensch, hinter den man getreten ist, selbst nicht zu sehen imstande ist. Hier, an dieser Schwelle beginnt die Spannung des privaten Einblicks.
Bernhard Traguts Arbeiten befinden sich genau in diesem Übergangsbereich zwischen Intimität und Unzugänglichkeit. Es ist, als ob man dabei wäre, wie gerade jemand in seine Welt eintaucht; als ob man Zeuge würde, wie sich jemand auf den Weg gemacht hat, sich seine Wünsche zu Verfolgen. Hier sieht man, anders gesagt, Menschen beim Träumen zu.
Betrachten Sie zum Beispiel diese zwischen Gehäuse und Tabernakel changierenden Objekte an der Wand. In diesen intimen Kästchen, deren Flügeltüren sich öffnen und schließen lassen, hausen Männer in ihrer Welt. Es sind Typen, menschliche Klischees in Miniaturform, Zitate: Der Wanderer. 3 Und der schlafende, träumende Seemann.4 Jeder von ihnen hat alles um sich herum, damit der heiß ersehnte Traum funktioniert. Einmal kann man den Einschluß in das eigene Wünschen innen und im anderen Fall außen ablesen. Die Welt ist vom Wunsch aus entwickelt. Innen wird außen wird innen.
Vergleichsweise werden auch Rokoko-Figurinen von ihren eigenen Weltentwürfen getragen: Ein Stück Blumenwiese, ein Baumstrunk, eine fragmentierte Landschaft dienen als Sockel für kleine Szenen des Intimen.
Tragut, der gelernte Vergolder und Restaurator, welcher vor seinem Eintritt in die Akademie der Bildenden Künste in Wien bei seiner Arbeit von zahlreichen Heiligenfiguren umgeben war, führt in seinen Szenarios allerdings etwas ein, das Rokoko-Figurinen fehlt und was bei Heiligenfiguren in Tragik und Leiden umschlägt. Tragut führt das Lächeln ein, genauer gesagt, das Schmunzeln. Er zieht uns liebevoll hinein ins Geschehen und zeigt dieses gleichzeitig diskret als Konstruktion. So wird Welt gebaut, scheint er zu sagen. Der Wunsch errichtet sie, das Sehnen macht sie wahr.
Text: Eva S. Sturm