Tragut und böse, Lümmel und Hölle

Claudia Aigner

Was ist der Unterschied zwischen einer Gitarre und einem Klavier? Stimmt. (Jeder zivilisierte Mensch kennt ja die Antwort. Drum geh’ ich natürlich stillschweigend davon aus, dass sie Ihnen soeben blitzartig durch den Kopf geschossen ist.) Sicherheitshalber schreib’ ich sie hier trotzdem noch einmal hin (für die Banausen, zu denen ich Sie selbstverständlich nicht zähle): Das Klavier brennt länger.
(Wie auch immer man da draufgekommen sein mag, es hört sich jedenfalls an wie ein Verbrechen aus Leidenschaft. So wie wenn ein Geschädigter der Blockflötenfrühpädagogik die Flöte als Apportl missbraucht – „Hol’s Stöckchen, Brutus!“ – und vom Hund zerbeißen lässt.) Und weiters gilt, weil es ja genau genommen zwei Unterschiede sind: Wenn man ein Klavier und eine Gitarre beim Fenster rausschmeißt (am besten mindestens aus dem dritten Stock), macht das Klavier eindeutig den größeren Krach.
Was das jetzt mit dem Bernhard Tragut zu tun hat? Na ja, zum einen spielt er Gitarre. Sogar im Plural. (Akustikgitarre, Hawaiigitarre, Stromgitarre.) Und macht dabei ziemlich viel Lärm (und die Gitarren überleben es sogar). Nämlich wenn er mit seiner Rucki Zucki Palmencombo auftritt, der kultigen Formation, die sich 1983 aufgelöst und es sich 2001 doch wieder anders überlegt hat und (mit leicht veränderter Besetzung) wiederauferstanden ist. Quasi „Rucki Zucki Palmencombo – die Rückkehr (jetzt noch ruckizuckiger)“.
Und zum andern brennt ein durchschnittliches skulpturales Werk vom Tragut vielleicht nicht so ausdauernd wie ein Klavier (theoretisch), aber mit Sicherheit würde es uns länger wärmen als das berühmteste Stück Holz der Welt. Weil da einfach mehr Substanz zum Abfackeln vorhanden ist. Ach, als bei Billy, dem Regal? – Nein, das ist doch das zweitberühmteste Stück Holz. – Hm. Pinocchio? – Der ist das drittberühmteste Stück Holz auf diesem Planeten (und ich wage zu behaupten: im Sonnensystem). Das berühmteste befindet sich hinter Panzerglas in einem Nur-schauen-nicht-anfassen-Etablissement (im Louvre): die Mona Lisa. Die Ikone des gepflegten Lächelns. Und die hat der Leonardo da Vinci damals auf ein bedenklich dünnes Brettl gemalt. (Es war übrigens die Pappel und nicht die Lärche.) Nicht dass die Eignung als Brennholz (ob man damit also ein romantisches Lagerfeuer machen kann) unbedingt ein Qualitätskriterium wäre…
In seinem gerammelt vollen Wiener Kelleratelier im 15. Bezirk, da hält mir der Tragut ein Figürchen hin: „Des is zum Beispü a Zirbe.“ Und ich denk’ mir gleich: Aha, das ist sie also, nämlich eine von den legendären Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Denn ansonsten verwendet er ja ausnahmslos Linde, das klassische Schnitzholz. Nein, zugegeben: Das hab ich in dem Augenblick nicht gedacht. Ich hab vielmehr die ganze Zeit versucht, mir bildlich vorzustellen, wie sich da zwischen die vielen Sachen, zwischen die Stellagen, Tische und Schnitzwerke, auch noch die komplette Rucki Zucki Palmencombo hineinzwängt, die hier ja probt, wovon die Mikrofone, drei Gitarren, ein Banjo und nostalgische Wofür-auch-immer-die-gut-sein-mögen-Geräte zeugen. („Wir spü’n Retro. Das Equipment is wie von den Rolling Stones und den Beatles.“) Hätte ich eine blühende Phantasie, so hätte ich mir ausmalen können, wie die Musiker sich und die noch nicht anwesenden Instrumente (das Schlagzeug und das Akkordeon und eventuell die Mundharmonika – nein, die nicht) mit Vaseline einschmieren und sich tapfer durchs „Gehölz“ kämpfen wie ein mit Vaseline eingeriebenes Kamel durch ein Nadelöhr, so aber ist es mir nach wie vor ein Rätsel, wie man in diesem bummvollen Horror-vacui-Ambiente zu viert Schlager-Rock-’n’-Roll (oder so was) machen kann.
Im niederösterreichischen Purgstall, seinem zweiten Domizil, wo er stets ein paar Holztrümmer auf Abruf herumliegen hat, geht der Tragut also zunächst mit der Motorsäge auf das Lindenholz los. („A mordsintensive, dreckige Arbeit. Bis in die Unterhose hot ma des.“) Erledigt dort draußen das Grobe („das Staubige“). Die Feinarbeiten führt er dann schließlich (Ausnahmen bestätigen freilich auch hier die Regel) in Wien durch. Schnitzt die Figuren, die er in die volkstümlich anmutenden Guckkastenbühnen und Schreine hineinsetzt („Des is a Kripperl, letztendlich“), und bemalt die meist höchst bizarren, surreal komischen und dabei zutiefst menschlichen Szenen äußerst realistisch und gschmackig.
Auffallend an den Arbeiten ist ja das „Handfeste“. (Der handwerkliche Impetus, der heimwerkerische Spieltrieb.) Dass sich irgendwo ein Türl öffnen lässt, man was wegklappen oder wegdrehen kann und dabei seine Überraschungen erlebt. Da macht man zum Beispiel so arglos, wie das Rotkäppchen mit dem Wolf plauscht, die Knolle von einem unverdächtigen Gemüse auf (Sellerie?) und klappt das Ding, peinlich berührt („Oh, Tschuldigung!“), g’schwind wieder zu (aus Schamgefühl), weil sich da drin grad einer die Hose runterzieht.
Dieser Freude am reibungslosen Auf und Zu und Hin und Her, am Schrauben und Basteln und Zusammenstecken und Befestigen von beweglichen Teilen (hm, mit denselben Worten könnte man Sex auch beschreiben – exklusive dem Teil mit dem „reibungslos“), also dem beseligenden Glücksempfinden bei diesem Auf und Zu, Hin und Her usw. verleiht übrigens auch ein Lied auf der aktuellen Palmencombo-CD („Es kommt wie es kommt“) Ausdruck. Der Song „Akkuschrauber“ mit dem gleichlautenden Ein-Wort-Text. Dieses spezielle revolutionäre Werkzeug hat dem Tragut einmal wertvolle Dienste geleistet, als er seine Wohnung umgebaut hat. („I hätt’ des Gerät abbusseln können.“) Strenggenommen ist das Stück „Akkuschrauber“ ja ein Nachruf. Ein Requiem für einen Akkuschrauber, der leider eines Tages tödlich verunglückt, weil vom Kachelofen gefallen ist – und hin war er. Ein sehr minimalistisches, geradezu konzeptuelles Requiem. Abgezählte vier Mal fleht Tragut „Akkuschrauber“ in die (für eine Trauerbewältigungskomposition ungewöhnlich flotten und heißen) Rhythmen hinein.
Momenterl! Auf und zu, hin und her – das kennt man doch von irgendwoher. Nein, ich mein’ ausnahmsweise nicht: von unzüchtigen Handlungen (pfui!). Religiöse Schnitzwerke aus dem Spätmittelalter kommen mir da vielmehr in den Sinn. Flügelaltäre. Oder Schreinmadonnen, die man vorne in der Mitte auseinanderklappen kann, und dann kommen im Innern betende Gläubige zum Vorschein. (Oder ein Gnadenstuhl.) Und nicht zu vergessen die „Jesus-Actionfiguren“ mit beweglichen Armen, also die Heilande mit Auferstehungsfunktion, die man nämlich vom Kreuz lösen konnte, um sie am Karfreitag in ein „Heiliges Grab“ zu legen, aus dem sie am Ostersonntag auferstanden sind. Oder in den Klöstern die Christuskindlpupperln mit Zubehör (Kleidung, Rassel, eine Wiege zum Hutschen), die von den Nonnen verhätschelt wurden, die solcherart ihren Mutterinstinkt sündenfrei ausleben konnten.
Gut, ganz so weit geht der Tragut auch wieder nicht. Er häkelt für seine Männchen und Weibchen keine wärmenden Pudelhauben und näht keine farblich nach Wochentagen sortierte Unterwäsche zum Wechseln. Mit seinen Figürchen kann man in der Regel nicht spielen und man kann sie nicht wie die Barbie oder die Kuschel-Teletubbies oder den Plastik-Transformer Optimus Prime mit auf die Pyjama-Party nehmen. Weil sie am „Puppenhaus“ angeklebt sind.
Die Nähe zur Volksfrömmigkeit (die Barbie, die Teletubbies und die Transformers gehören ja irgendwie auch dazu) und zu volkstümlichen Andachtsbildern können diese Schöpfungen dennoch nicht verleugnen. Tja, das könnte darin begründet sein, dass der Tragut der Kunst eben zum allerersten Mal in der Kirche begegnet ist. Ein Ministrant (eh klar!), der dann eine Vergolderlehre absolviert (natürlich! Was denn sonst?) und ebenso gelernt hat, Heilige, Madonnen und himmlischen Babyspeck farblich zu fassen („Vor Weihnachten, da san 30 Engerln vor mir g’legen, und die hab ich ang’malt“), und der in weiterer Folge den Skulpturenschmuck von Gotteshäusern restauriert hat. Bevor es ihn auf die Kunstakademie und zur Malerei zog.
Irgendwann kam ihm plötzlich die Erleuchtung: „De (Anmerkung: die vielen, vielen Maler auf dem großen, großen, runden, runden Globus) moin eh scho ois, wos g’moid g’heat.“ Und fortan, um sich und die Welt nicht mit Redundanzen zu langweilen, hat er sich auf die Bildhauerei gestürzt.
So. Schluss mit dem abstrakten Blabla. Zeit für was Konkretes, sprich für seine neuesten Kreationen, die ich bereits im Rohzustand sehen durfte. Splitterfasernackt. Ohne Farbschicht drauf. Okay, entrindetes, nackiges Lindenholz zu begaffen, in das sich Schnitzbesteck heißblütig vertieft hat, das mag weniger aufregend sein, als wär’ ich als erster Mensch zufällig einer nackerten Singularität über den Weg gelaufen (die laut Theorie ja ausnahmslos keusch mit einem Schwarzen Loch bekleidet zu sein hat) – doch immerhin. Die entblößte Singularität (und die erwähne ich lediglich deshalb, weil der Tragut auf Sciencefiction steht) hätte mich im Übrigen kurzerhand spaghettifiziert. In die Länge gezogen und zerfetzt.
Ach ja: Mein Hobby ist das lustige Titelraten. Drum hab ich auch diesen zünftigen Verherrlichungen des Lindenholzes zunächst kreative Phantasienamen verpasst und erst später nachgeschaut, wie sie tatsächlich heißen. Und bin gar nicht so danebengelegen. Vielleicht weil ein typischer Tragut-Titel noch viel für die Vorstellungskraft und für persönliche Vorlieben übriglässt. Im Wesentlichen sind die Themen: Männerphantasien und die Natur. (Vereinfacht ausgedrückt.) Und halt der ganze Rest vom Dasein.

Ich glaub, ich steh’ im Wald
Raketen sind bekanntlich Vorrichtungen zur Weltflucht und werden für Himmelfahrten verwendet. Bei dem raketenartigen Dingsbums, das sich vorn öffnen lässt und außen mit einem Wolkenhimmel überzogen ist, hab ich natürlich sofort an die Offenbarung des Johannes denken müssen, wo sich ja ebenfalls der Himmel auftut. Kapitel 4, Vers 1: „Danach sah ich, und siehe, eine Tür war aufgetan im Himmel.“ Man erwartet folglich, wenn man die zwei Flügel zur Seite klappt, eine apokalyptische Vision.
Drin im Schrein ist allerdings nicht der himmlische Thronsaal mit Gottvater, dem Lamm und dem Buch mit den sieben Siegeln, sondern ein Wald mit einem derangierten, völlig z’nepften Kerl, dem das Hemd raushängt und der womöglich kurz davor ist, sich zu übergeben. Den hat auf keinen Fall die Romantik in die Natur getrieben. Schon eher die volle Blase oder jenes Hühnerbiegel, das den Magen zum Übergehen gebracht hat. Der Naturbursch könnte genauso gut auch gerade verschnaufen und tatsächlich auf der Flucht sein, weil ihn ein rosarotes Backhendl verfolgt (nachdem er zu viel „flüssiges Brot“ absorbiert hat – Bier). Nein, das ist doch ein Märtyrer der Hausmannskost, der auf seinem Verdauungsspaziergang (oder „Verdauungsbußgang“) jede Kalorie und jedes Fettmolekül einzeln abbüßt und sich mit schlimmem Sodbrennen durch die Vegetation schleppt. Der schaut mir ganz danach aus, als könnt’ er jeden Moment den Hl. Rennie um Hilfe anflehen, der den Magen aufräumt. Oder den Hl. Erasmus, den Nothelfer bei Leibschmerzen und Koliken, dem selber dereinst die Gedärme mit einer Seilwinde herausgezogen worden sind.
Oder dieser Schmerzensmann ist der Hl. Erasmus. Dann wäre das Ganze ein besonders krasses, abstoßendes Beispiel für die derzeit so moderne Form von Vandalismus: fürs Regietheater. (Lümmel, Arsch und Zwirn!) Heißen tut das Opus jedenfalls „Zu viel des Guten“. Mein Phantasietitel: „Ecce homo“ – sehet, welch ein Mensch! (Oh, ist ja fast dasselbe.)

Plumpsklo to Hell
Dieses Opus (vom Künstler autorisierter Titel: „Bodenlos“) ist bei mir schlicht „Der Donnerbalken“. Weil da ein Bursch auf einem Brettl sitzt, das frappant an ein gewisses Brettl erinnert. Freilich hängt der (eh bedeckte) Hintern hier über einem gefährlich tiefen Abgrund. Ein geradezu endzeitliches Plumpsklo muss das sein. Ein „Plumpsklo to Hell“. Innen ist der „Höllenschlund“ felsig, außen glatt wie ein Yeti-Popo, also mordsmäßig behaart (Sodom und Gorilla!). Und der Bua deutet mit dem linken Zeigefinger mitten hinein in die bodenlose Tiefe. Der macht sich nix vor, wo es am Ende hingeht: In die Verdammnis.
Die Herzogin von Alba zeigt auf einem Gemälde von Goya, wo sie Schwarz trägt, weil sie um ihren Herzog trauert, ja ebenfalls senkrecht nach unten, zum Land der Würmer, dem derzeitigen Aufenthaltsort ihres Gatten. Ach nein, die macht ja gar nicht die Witwen-Geste. Ihr Finger weist auf etwas hin, das in den Sand gekritzelt ist (Sekunderl, ich muss das Bild bloß schnell auf den Kopf stellen, aha): „Solo Goya“ – nur Goya.
Wem nun ein imaginärer Kammersänger ein bestimmtes Schubertlied aus dem Zyklus „Die schöne Müllerin“ leise ins Ohr schmalzt, dem schwant bereits die „nuda Veritas“, die nudistische Wahrheit.
„Ich schnitt es gern in alle Rinden ein,
Ich grüb es gern in jeden Kieselstein,
Ich möcht es sä’n auf jedes frische Beet,
Mit Kressensamen, der es schnell verrät,
Auf jeden weißen Zettel möcht ich’s schreiben:
Dein ist mein Herz, dein ist mein Herz und soll es eeewig, eeewig bleiheiheiheiheiheiben.“
Die Herzogin gibt da in einer Fußnote den Namen ihres heimlichen Liebhabers preis: Goya. (Das Luder, das ausgschamte!)

Der Bohrer bin ich
„Die lieben Verwandten“ (inoffiziell: „Adam und Eva“ – nach den beiden Ur-Kreationisten, weil ich ursprünglich vermutet hab’, da würde es irgendwie um den Darwin gehen und darum, dass sich zwei, die fest an die Schöpfungsgeschichte glauben, versehentlich in die Ursuppe verirren): Im Zentrum von einer Satellitenschüssel (oder einem kolossalen Suppenteller) halten sich zwei Exemplare der Gattung „Hetero sapiens“ auf. Das Männchen hat einen Bohrmaschinenkoffer dabei (Bohrmaschine? Na wenn das keine phallische Metapher ist …) und das Weibchen trägt ein Tascherl, „wo ma ned genau weiß, was drin is“. Wenn das Gerücht stimmt, die eigentliche Intimregion der Frau sei ihre Handtasche und der Sigmund Freud hätte selbstverständlich diese gemeint mit dem „dunklen Kontinent“, dann … sind Handtaschenräuber Sittenstrolche.
Umschwommen werden „Adam und Eva“ nun von diversem Meeresgetier. Darwin und die Evolution sind da aber eh nicht zwingend vorgeschrieben. Sonst würden da ja wenigstens ein paar Affen auf Delfinen reiten, oder?

Jessasmarandjosef!
„Man weiß nie“ (bei mir: „Die Heilige Familie“, kurz: Jessasmarandjosef!). Aus einem von Ikea inspirierten Lampenschirm (Ikea – Zeig mir deinen Inbusschlüssel, Baby, dann zeig ich dir meine Änga-Aufbewahrungskombination!) blickt die (natürlich nicht mithilfe von einem Inbusschlüssel und nicht einmal mittels eines Akkuschraubers angeschraubte) Heilige Familie heraus zu uns Sterblichen. Entweder die Heilige Familie der Christenheit (Joseph, der Ziehvater Jesu, der ja deutlich älter als die Jungfrau Maria war, Muttergottes und Jesusknabe) oder sonst halt die Heilige Familie der Freudianer: Über-Ich (das achtbare, würdig gereifte Familienoberhaupt), Es (am ehesten die Frau), und das Ich ist das arme Würschtl, das dauernd den Mediator mimen und die Ehe der beiden zusammenhalten muss, die im Clinch miteinander liegen.

Ich bin dann mal weg
„Sog“: Auf so einen zackigen, phrasenlosen „What You See Is All You Get“-Titel hätt’ ich einmal kommen sollen! Stattdessen hab ich mich mit mir selber auf keinen eigenen einigen können. Weil es einfach zu viele Möglichkeiten gibt, was das zu bedeuten haben kann, wenn ein Mann von einem rosaroten Trichter verschluckt wird und bloß noch die Füße rausschauen.
Freudianische Deutung: Das ist ein Muttersöhnchen mit ausgeprägtem Ödipuskomplex, das Heimweh nach der Mama hat, und der Trichter symbolisiert den Geburtskanal. Da würde sich der Titel „Der verlorene Sohn kehrt heim (Mama, ich bin wieder zu Hause)“ anbieten.
Kosmologische Deutung: Unvorsichtiger Astrophysiker köpfelt draufgängerisch in ein Wurmloch, weil er ein ungläubiger Physik-Thomas ist, der nicht blind akzeptieren kann, dass sich im Zentrum wirklich zwei Schwarze Löcher befinden, die durch die Einstein-Rosen-Brücke miteinander verbunden sind, sondern eigenäugig nachschauen muss. Und bei all der Wissbegier vergisst er ganz, die wichtigste Grundregel für den sicheren Umgang mit Schwarzen Löchern zu beherzigen: Aus einem Schwarzen Loch kommt man nur heraus, wenn man schon wieder rausklettert, noch bevor man hineingefallen ist. („Wo, bitte, geht’s zur Einstein-Rosen-Brücke?“ Oder: „Neugier ist ungesund.“)
Darwinistische Deutung: „Natürliche Auslese“ (das Staubsauger-frisst-Hamster-Prinzip). Eventuell sind das sogar die Füße vom Charles Darwin, weil das Opus ja immerhin 2009 geschnitzt worden ist, dem Jahr, in dem der Papa der Evolutionstheorie am 12. Februar seinen 200sten Bruttogeburtstag gefeiert hat. (Wow! 200 Burzeltage! Und davon immerhin 73 zu Lebzeiten!) Aber von welcher exotischen Lebensform wird der Darwin da verspeist? Pikanterweise von einem … tja, welches Tier könnte das sein? Es kommt in der Arktis vor, aber nicht in der Antarktis bei den Pinguinen. Richtige Antwort: der Regenwurm. Gut, möglicherweise hätt’ ich noch einmal darauf hinweisen sollen, dass das Viech rosarot ist. (Dann hätten Sie allerdings gedacht: ein rosaroter Eisbär, der gerade einem betrunkenen Eskimo erscheint.)
In Australien werden diese schlanken Kreaturen (die im Boden von jedem Kontinent herumackern außer eben in dem von der Antarktis) so dermaßen gigantisch (zwei, wenn nicht gar drei Meter lang), mit einem einzigen Exemplar könnte ein ehrgeiziger Angler glatt einen Weißen Hai ködern. Und so ein australischer Riesenregenwurm, die Anakonda unter den Regenwürmern, könnte hier grad, was ziemlich pikant ist, den Darwin runterwürgen.
Wieso „ziemlich pikant“? Weil der Darwin anno 1837 ausgerechnet für Regenwürmer ein exklusives Konzert gegeben hat, nämlich für sie ein bissl auf dem Fagott improvisiert hat (und am Klavier, dem Ding, das so schön lang brennt). Doch seine kleinen rosa Freunde hat das völlig kaltgelassen. Hat der Darwin am End’ einen ausgewachsenen Orpheus-Komplex gehabt und sich für einen Musikanten gehalten, der die wildesten Pflüger und Belüfter der Krume allein mit seiner Musik zähmt? Hat er gemeint, er wär’ ein Regenwurmbeschwörer? Nein, das war lediglich ein recht exzentrisches Tierexperiment mit dem Ziel, zu ergründen, ob besagte Würmer in der Lage sind zu hören. So hartnäckig ignoriert haben sie ihn, dass der Darwin irgendwann klein beigegeben und beschlossen hat, dass diese Bagage nicht über den geringsten Gehörsinn verfügt. Ja, angeschrieen und erschreckt hat er sie („buh!“), und sie zeigten ihm bloß den kalten Darmausgang. (Und auch sein Flötenspiel konnte sie nicht erwärmen.) Gut, der späte Beethoven hätte wohl ungefähr genauso reagiert. Regenwürmer und taube Komponisten sind ein undankbares Publikum.
Hm. Flöte. Auf der neuen Palmencombo-CD spielt der Tragut ja auch ein Flötensolo. Das kann er wohl nur deshalb so leichtlippig und ohne Fingerkrampf tun, weil er kein Opfer der berüchtigten „Blockflötenfrühpädagogik“ ist. Weil seine Flötenlehrerin nicht die böse Hexe des Westens aus dem Land Oz gewesen ist („Nicht einfach reinblasen, du Rindvieh! Dü-dü-dü dabei sagen! Dü-dü-dü!“), sondern er sich das Flötespielen selber beigebracht hat.
Vielleicht könnte man ja auf der „Es kommt wie es kommt“-CD freundlicherweise einen Warnhinweis anbringen (für uns, die Geschädigten der Blockflötenfrühpädagogik, die dieses Holzblasinstrument nur hören oder sehen müssen, und schon hantieren wir in Gedanken mit einem Benzinkanister und einem Streichholz): „Achtung: Spur 11 auf diesem Tonträger ist für Personen mit Blockflöten-Überempfindlichkeit nicht geeignet. Enthält eine das Wohlbefinden beeinträchtigende Klangquelle.“

Claudia Aigner
(Sämtliche dialektal gefärbte Zitate stammen von Bernhard Tragut.)